Was versteht man unter Zugangsfiktion bei nicht abgeholtem Einschreiben?

Wann gilt ein Brief als zugestellt? Auch damit muss sich das Gesetz befassen, weil vor allem bei Kündigungen Fristen mitgeteilt und eingehalten werden müssen. Der Empfänger kann sich der Frist nicht immer dadurch entziehen, dass er vorgibt, das Schreiben nicht erhalten zu haben.

Wann gilt ein Brief als zugegangen?

Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs gilt ein einfacher Brief als zugegangen, wenn ihn der Empfänger unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann (BGH IBR 1998, 152). Wenn der Brief zum Beispiel in den Hausbriefkasten eingeworfen wird, dann kann er als zugestellt gelten, wenn der Briefkasten üblicherweise das nächste Mal geleert wird. Dies ist per Definition spätestens am folgenden Tag.

Einschreiben

Bei eingeschriebenen Briefen besteht meist kein Zweifel über den genauen Zugang, da entweder der Bote oder der Empfänger die Übergabe schriftlich quittiert (Einschreiben durch Übergabe oder Einschreiben mit Rückschein).

Doch wie sieht es aus, wenn der Empfänger nicht angetroffen wird?

Zugangsfiktion

Behördliche Einschreiben, bei denen keine Empfangsquitting vorhanden ist, gelten gemäß § 4 Absatz 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) "am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen. Der Tag der Aufgabe zur Post ist in den Akten zu vermerken."

Die Annahme der Zustellung am dritten Tag nach dem Absenden nennt man in der Jura-Fachsprache Zugangsfiktion. Dabei wird vermutet, dass der Empänger spätestens nach drei Tagen zur Post geht, um sein Einschreiben abzuholen, da er vom Postboten eine Benachrichtigung erhält, dass das Einschreiben für ihn hinterlegt ist.

Zugangsvereitelung

Verzögert oder verweigert der Empfänger bewusst die Abholung des Einschreibens (Zugangsvereitelung), kann er sich nicht darauf berufen, das Schreiben nicht erhalten zu haben und daraus entsprechende Rechte in Anspruch nehmen. Dies gilt erst recht, wenn er im Rahmen seiner vertraglicher Beziehungen mit einer rechtserheblichen Mitteilung per Einschreiben rechnen muss. In diesem Fall muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm das Schreiben innerhalb der Frist zugegangen ("Leistung nach Treu und Glauben" gemäß § 242 BGB).

Rechtsprechung zur Zugangsfiktion und Zugangsvereitelung

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 24. April 2013 (8 U 41/12) eine Zugangsvereitelung in Bezug auf eine Kündigung eines Mietverhältnisses als gegeben angesehen. Der Empfänger der Kündigung kann die bezweckte Wirkungen nicht dadurch umgehen, dass er das entsprechende Einschreiben nicht oder erst nach Ablauf einer erheblichen Zeitspanne bei der Post abholt. Es ist stattdessen anzunehmen, dass ihm die Kündigung innerhalb der Kündigungsfrist zugegangen ist. Die Richter betonten allerdings, dass im konkreten Fall der Empfänger mit einem derartigen Schreiben seiner Vermieters rechnen muss, zum Beispiel weil er sich im Zahlungsrückstand befindet.

In einem anderen Fall sah das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz keine Zugangsfiktion als berechtigt an und keine Zugangsvereitelung von Seiten des Enpfängers (Urteil vom 4. August 2011, Az. 10 Sa 156/11), obwohl ein Einschreiben trotz Benachrichtigung nicht bei der Post abgeholt wurde.

In dem verhandelten Fall wurde einer Arbeitnehmerin per Übergabeeinschreiben fristlos gekündigt. Die Arbeitnehmerin war nicht zu Hause und der Postbote hinterließ nur eine Benachrichtigung. Die Arbeitnehmerin holte das Einschreiben aber nicht bei der Post ab. Nach Auffassung der Richter gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitnehmerin mit einer Kündigung rechnen musste. Außerdem enthielt die Benachrichtigung des Postboten keine Informationen zum Absender oder Inhalt des Einschreibens. Das Gericht entschied daher, die Kündigung als nicht zugegangen anzusehen.

Im Einzelfall sind also die Umstände zu prüfen, um zu entscheiden, ob die Zugangsfiktion greift und ob Zugangsvereitelung vorliegt.

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